Die Macht des Bildes

von Wolfgang Hock 2010

Das Hauptproblem heute scheint mir in diesem Zusammenhang, dass das Linsenbild der Fotografie mit seiner scheinbaren Dreidimensionalität unsere optische Wirklichkeit (24-hour TV, Home Video, gigantische Foto-Reklame an Hochhäusern, digitales Kino, Internet, illustrierte Zeitschriften mit brillianten Farbfotos usw.) total dominiert und deshalb die Leute wieder einmal - oder immer noch - verwirrt:

Sie verwechseln es mit der Realität, für sie ist das, was auf ihrem großformatigen Plasmabildschirm gezeigt wird wirklicher, als die Realität selbst, sie nehmen die Welt nur noch durch die Brille dieser Optik wahr, aber sie nehmen nicht das Medium wahr, das sie einer täglichen Dauergehirnwäsche ausliefert, so dass ihr "Bild" von der Wirklichkeit nicht mehr ihr eigenes ist.

Fotografie, Video, Film und Fernsehen werden als 'real' angesehen.

Das ist das Problem, denn die Welt sieht nicht aus wie eine Fotografie, egal ob analoge oder digitale Fotografie, jedes Mal verändert das betreffende Medium das Bild auf verschiedene Weise (viele Leute meinen, sie wären früher hübscher gewesen, aber das liegt an der neuen digitalen Fotografie, die anders abbildet).

Je größer der Bildschirm, der 3-D-Effekt, die Bildschärfe, die technisch-optische Perfektion, desto mehr Echtheit und Wahrheit wird vermutet, desto mehr wird daran geglaubt, dass es die Wirklichkeit selbst ist, die man da sieht.

Die Leute werden von den ständigen technischen Neuerungen buchstäblich überrannt ohne Chance, diese auch emotional verarbeiten zu können.

Die Faszination des immer Neueren und 'Besseren' treibt diese Verwirrung immer weiter an.

Das alles sind automatische und unbewusste Prozesse, die von den meisten nicht wahrgenommen werden.

Das hat zu tun mit Einfluss, Macht, Politik und Kontrolle. Die visuelle Manipulation der Massen war immer stärker als die durch andere Medien (das Wort z.B.).

Diese Einengung auf eine Sichtweise der Dinge empfinde ich als äußerst brutal und inhuman, wie ein Gefängnis.

Dem Bewusstsein Gewalt anzutun, ist schlimmer, als einen Menschen grausam zu töten. Denn das Verleugnen der eigenen Sehweise zerstört die Seele.(*)

Vor allem autoritäre Systeme wissen das sehr gut für ihre Zwecke auszunützen.

Die Kirche hat dies mehr als ein Jahrtausend lang sehr erfolgreich benutzt (obwohl sie immer von der Macht des Wortes spricht ...).

Selbst im kommunistischen China zur Zeit Maos bis heute ist bei allem Stolz auf das nationale Erbe das westlich fotografische Linsenbild das dominante Medium, nicht die hochentwickelte und künstlerisch wertvolle traditionelle chinesische Malerei, die unsere perspektivische Dreidimensionalität nicht kannte (die Mao-Bibel war doch eher durch ihre rote Farbe auffällig, wirklich gelesen hat sie kaum einer ...).

Aber auch in unserer heutigen westlichen Kultur findet das genauso breite Anwendung: Im kommerziellen Bereich dienen perfekt-optische Bilder als "Beweise" ihrer Wahrhaftigkeit und Qualität.

Sogar im populär-wissenschaftlichen Bereich wird mit diesen Mitteln gearbeitet.

Auch unser ehemaliger Präsident Lula in Brasilien war während seiner Amtszeit sehr daran interessiert, das neue digitale Fernsehen (japanischen Standards) für alle Brasilianer kostenlos einzuführen, damit wirklich alle davon beglückt werden können, bis in die zurückgelegensten Gebiete des Amazonas hinein und in die ärmsten Gebiete der Favelas wie z.B. des "Morro do Alemão" in Rio de Janeiro. Die Armen sind einfach zahlreicher als die Reichen...

Von daher ist für mich der zuletzt genannte Aspekt der "Umarbeitung gegen die determinierte Bildlogik des Linsenbildes der Fotografie" besonders wichtig in meinen Bildern, auch deshalb, um die Übersetzung der Dreidimensionalität der Wirklichkeit in ein zweidimensionales Medium bewusst zu machen, die Verwechslung von Medium und Realität zu entlarven.

Ein altes Thema, aber immer noch brisant, gerade jetzt wieder in unserem digitalen Zeitalter.

Neue Kunst ist immer da, wo man sie nicht erwartet, da wo niemand an sie denkt, noch ihren Namen nennt. Sie hasst es, erkannt und mit ihrem Namen begrüsst zu werden. Sie macht sich sofort aus dem Staub. Sie ist wie eine Person, die leidenschaftlich das Inkognito liebt. Sobald man sie entdeckt, sobald einer mit dem Finger auf sie zeigt, flüchtet sie. Weil sie gar nicht danach aussieht, kommt es, dass man sich täuscht. Viele täuschen sich.(*)

Es ist schwierig, gegen den Strom zu schwimmen und trotzdem die neue Technologie zu verwenden.

Die Magnetisierung durch die Gewohnheit übt einen äußerst starken Druck aus. Die gängigen und damit gewohnten Schablonen wirken so einnehmend, dass nur selten jemand anzutreffen ist, der sich ihrem Zwang entziehen kann. Eine gewisse "Ver-rückt-heit" ist dabei sicher eine Hilfe.

Neue Technologie in der Kunst als Mittel der Bewusstmachung, nicht zur naiven Bewunderung der technischen Perfektion.

von Wolfgang Hock

 

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